Editorial Nr. 51

Liebe Leserinnen und Leser,

wie RICHTICH WICHTICH ist jeder Einzelne? Auf der einen Seite versucht jeder und jede seine/ihre Einzigartigkeit zu leben, auf der anderen Seite scheint es immer schwieriger zu werden in einer globalisierten Welt, im Zeitalter der Medien, noch unverwechselbar und individuell zu sein.

Mit dem Gedanken der Kompetenz- orientierung hat der Gedanke der Individualität auch in pädagogische Konzepte Aufnahme gefunden. Bestechend scheint die Absicht, dass mit einem selbst gesteuerten, individuellen Lernen im Unterricht jeder Schüler, jede Schülerin seinen/ihren individuellen Lernweg finden kann. Denn wer von uns kennt nicht den mühsamen Versuch, möglichst viele Schülerinnen und Schüler einer Klasse auf den Weg zu demselben Lernziel zu bringen – und ein Großteil der Klasse steigt vorher aus. Wie positiv motivierend kann es sein, wenn am Ende jeder Einzelne sagen kann: »ICH kann«.

In vielen Bundesländern hat der Gedanke des selbst gesteuerten Lernens längst Einzug genommen in die Lehrpläne und Seminarausbildungen (siehe Beitrag ab Seite 8). Marion Holzhüter beschreibt begeisternd, wie sich Unterricht in der neuen Lehr-/Lernkultur planen und durchführen lässt. Da vieles aus dem Praxisteil den Rahmen des Heftes sprengen würde, darf ich Sie schon an dieser Stelle auf die Downloads im Netz ("+ nur hier") aufmerksam machen.

Wir wollen aber auch nicht verschweigen, dass wir im Redaktionskreis mit der veränderten Lehr-/Lernkultur gerungen haben: Läuft dieses Konzept nicht vielleicht einer Entwicklung hinterher, die in unserer Gesellschaft längst verbreitet ist: Individualität um jeden Preis, Arbeiten am eigenen Profil, Erstellung eines Portfolios ab dem Kindergarten­alter, das am besten direkt zu den wirtschaftlichen Notwendigkeiten passt? Spiegelt sich dies gar in den Entwürfen zum Europäischen Qualifizierungsrahmen, zu dem Sie in diesem Heft einen Beitrag finden?

Und: Wie wichtig ist bei der individuellen Persönlichkeits- und Lernentwicklung der ehrliche Austausch mit Gleichaltrigen und mit authentischen Lehrpersonen zu Fragen, die das eigene Leben und den eigenen Glauben betreffen? Lässt sich das »alte« Dreieck des Lernens, das in der Beziehung von ICH, WIR und THEMA im GLOBE gedacht war, mit der Kompetenzorientierung verbinden?

Und muss nicht gerade im Religionsunterricht zum » ICH kann« das »ICH bin« kommen, da von unserem christlichen Glauben her das ICH schon immer in Beziehung zum DU steht, unser religiöses Ringen schon auf Beziehung angelegt ist?

Wir möchten Sie ermutigen, einen kompetenzorientierten, individuellen und selbst gesteuerten Religionsunterricht auszuprobieren und Sie zugleich ausdrücklich um Ihren Diskussionsbeitrag bitten per Leserbrief oder im Netz unter www.bru-magazin.de

Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen!

     Mit herzlichen Grüßen!
     Folke Keden-Obrikat