Editorial Nr. 64
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
es fällt mir schwer, die richtigen Worte für die Einführung in das vorliegende Heft zu finden. Ein Heft zum Thema Religion und Gewalt, geplant im September, inhaltlich abgeschlossen Mitte November – zu Beginn des Jahres 2016 halten Sie es nun in Händen.
Ein Heft zur Gewaltthematik, das also vor den neuerlichen Terror-Anschlägen in Paris am 13. November 2015 und vor den Gewalt-Exzessen der Silvesternacht 2015/2016 geplant und verfasst wurde, aber auch bevor das ganze Ausmaß rassistischer Gewalt gegen Flüchtlinge und Unterkünfte in Zahlen und Berichten zu fassen war. Diese schockierenden Erfahrungen werden im Heft nicht vorkommen. Dennoch werden sie alle, die an beruflichen Schulen Religion unterrichten, in diesen Wochen beschäftigen.
Ich selbst habe Anfang Januar versucht, meine widerstreitenden Gefühle und Gedanken im Gespräch mit einer Klasse von angehenden Erzieherinnen und Erziehern in Worte zu fassen. Das klang ungefähr so:
Zunächst fühle ich einen starken Druck, sofort meine Empörung zu äußern und mich auf eine »Seite« zu stellen, mich zu solidarisieren oder zu distanzieren. Das kenne ich aus anderen medial aufgeheizten Situationen: sofort diese oder jene Farbe bekennen zu müssen, keine Zeit zum Mitfühlen und Nachdenken zu haben.
Mehr noch nagt an mir, dass meine mühsam erworbene Strategie, mich zu Rassismus und Stereotypen im Unterricht zu verhalten, emotional schwierig wird. Bisher habe ich meine Schülerinnen und Schüler konsequent als Individuen und nicht als Mitglieder einer Gruppe angesehen. Das konnte ich gerade auch dann durchhalten, wenn mir – wie einige Male geschehen – einzelne Gruppen von (männlichen) Schülern den Vorwurf des Rassismus gemacht haben. Das waren übrigens zwar Migranten, aber keine Muslime. Ich habe diese Schüler sehr bewusst als Individuen wahrgenommen und angesprochen und mich nicht auf eine Konfrontation mit ihnen als Gruppe eingelassen. Das hat die jeweilige Situation entkrampft und den Vorwurf besser entkräftet, als jede Argumentation es gekonnt hätte. Umso mehr bedrückt es mich, wenn junge Männer demonstrativ als Kollektiv Straftaten begehen. Auch das ist leider nichts Neues, wenn ich an Hooligan-Gewalt und Übergriffe auf Zuwanderer denke, wird jetzt aber zu allem Überfluss auch noch rassistisch konnotiert. Hier spüre ich die gefährliche Versuchung, den Tätern auch als Kollektiv gegenüber zu treten. Dem möchte ich mich weiterhin verweigern.
Die Redaktion des BRUMAGAZINs hat sich erfreulich vergrößert. Als neue Redaktionsmitglieder konnten wir Antonella Zaccheddu Hargarten und Valentin Winnen begrüßen. Bereits seit der Ausgabe 63 arbeitet Markus Ihle mit. Wir freuen uns, dass mit den neuen Redaktionsmitgliedern auch neue regionale Perspektiven Einzug halten. Hessen und Niedersachsen sind jetzt als Berufsschul-»Landschaften« neben Baden-Württemberg und NRW vertreten.
Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir gerade in diesen unübersichtlichen Zeiten alles Gute für das Jahr 2016.
Johan La Gro