Editorial Nr. 69
»Jesus« unterrichten?
Jesus ist schwer vermittelbar. Selbst im Religionsunterricht – den Schülerinnen und Schüler bewusst als solchen gewählt haben – hält sich die Begeisterung für »Jesus« meist in engen Grenzen, wenn die Lehrkraft damit sehr explizit um die Ecke kommt: »Was interessiert mich ein (schon sehr lange) toter Wanderprediger?« Ganz schlimm wird es, wenn man als Lehrkraft dann noch die Bibel rausholt. Dann hängt die Motivation der Schülerinnen und Schüler gewiss gänzlich tot überm Zaun.
Jesus ist ein Ladenhüter. Wahrscheinlich ist es deshalb nicht nur in meinem Unterricht so, dass Jesus kein eigenes Kapitel ist (allenfalls am Gymnasium), sondern quasi in homöopathischen Dosen auf Einheiten aufgeteilt wird, die eine höhere Anbindung an die Lebenswelt (und Berufswelt) der Schülerinnen und Schüler versprechen. Die unterrichtliche Zerlegung Jesu ist natürlich auch konsequent mit Blick auf die Kompetenzorientierung des BRU und die Einbettung dieser Kompetenzen in (möglichst berufsbezogene) Lernsituationen. Und sie hat ihr Recht vor dem Hintergrund, auch im BRU lebensweltlich (und/oder gar beruflich) relevant unterrichten zu wollen. Wozu soll man Religionsunterricht besuchen (oder unterrichten), wenn das zu nichts »nütze« ist?
Zugleich besteht die Gefahr, dass durch die Zerlegung Jesu und die Aufteilung seiner Aspekte in unterschiedliche Lernsituationen (oder Themengebiete) kein Bild mehr von der Zentralgestalt des Christentums sichtbar wird. Bis hin dazu, dass Schülerinnen und Schüler am Ende sagen: »Jesus? Der ist bei uns im Religionsunterricht gar nicht vorgekommen.« Man muss das nicht unbedingt beklagen. Aber wäre es nicht schade, wenn das Faszinosum, das die Person Jesu auf Menschen ausüben kann, erst gar keine Chance hat, zum Tragen zu kommen, weil die Person gar nicht »erlebbar« begegnet? Und wäre es nicht konsequent, wenn Jesus im evangelischen Religionsunterricht, der sich letztlich mehr oder weniger der Person Jesu verdankt, irgendwie sichtbar würde.
Meines Erachtens tut Religionsunterricht gut daran, auch als solcher erkennbar zu sein. Sonst wäre er ja Werte-und-Normen- oder Ethik-Unterricht.
Damit ist nun also das Problem umrissen: Mit »Jesus« kann man im Unterricht von zwei Seiten vom Pferd fallen. Entweder man geht das Risiko ein, die Schülerinnen und Schüler zu verschrecken und die Logik der Rahmenrichtlinien von lebensweltlich verorteter KompetenzOrientierung zu unterlaufen. Oder man büßt eben etwas ein an fachlicher Deutlichkeit und/oder spezifisch christlicher Prägung des BRU.
Auf welcher Seite Sie, liebe Leserinnen und Leser, in Ihrem Unterricht lieber vom Pferd fallen wollen, sei natürlich Ihnen überlassen. Material für beide Möglichkeiten finden Sie jedenfalls in diesem Heft.
Ihr Valentin Winnen